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Konzeptionelle Aspekte systemdynamischer Modellbildung im naturwissenschaftlichen Unterricht. Horst Schecker


 
6. Transfer

Wie in der Einleitung ausgeführt, war ein Transfer von Modellbildungsfähigkeit oder systemdynamischer Vorgehensweisen auf außerphysikalische (-biologische, -chemische) Phänomene kein Ziel der didaktischen Konzeption und daher auch kein Untersuchungsgegenstand. Innerfachliche Transferleistungen wurden dagegen in drei Formen erwartet:

  • als Fortschreibung themenbereichstypischer Modellstrukturen auf neue Phänomene des gleichen Gebiets, bei der nur eine begrenzte Erweiterung des Ausgangsmodells unter Beibehaltung seiner Grundstruktur erforderlich ist,
  • als Anwendung von Überlegungsketten, die bei der computergestützten Modellierung in einem bestimmten Themenbereich notwendig und sinnvoll sind, in Aufgabensituationen ohne Rechnereinsatz, und
  • als Übertragung des Zustands-Raten-Konzepts auf die Beschreibung von Phänomenen in einem neuen Themenbereich.

Beispiele für Punkt 1 liegen aus unseren Erprobungen zahlreich vor. Innerhalb eines Themenbereichs, für den eine typische, extensiv anwendbare Modellstruktur vorliegt - zu nennen sind insbesondere die Newtonsche Dynamik, aber Bereiche der Elektrodynamik - gelang es den Schülern, diese auf neue Phänomene anzuwenden und dabei auszubauen. Ein Beispiel ist der erfolgreiche Ausbau eines einfachen Kraft-Beschleunigungs-Geschwindigkeits-Modells, das anhand des Bremsvorgangs eines PKWs entwickelt worden war, auf das Fallschirmspringen und die Bewegung von Meteoriten (s. Niedderer 1991, Bd. IV 150 ff.). Ein anderes Beispiel aus der gleichen Lerngruppe betrifft die Fortschreibung des Newtonschen Grundmodells für die Behandlung mechanischer Schwingungen. Obwohl mehrere Monate seit der letzten Anwendung des dynamischen Modells vergangen waren, wurde die Ausgangsstruktur rasch von den Schülern reproduziert und dann unter dem relevanten Aspekt der Rückkopplung der Auslenkung auf die Beschleunigung fortentwickelt (s. Bethge 1990, 182f.).

Als Pilotstudie zu Punkt 2 wurden in zwei Kursen nach dem Halbjahr Mechanik Interviews mit zehn Schülerpaaren durchgeführt (Niedderer 1991, Bd. IV). Die Schüler erhielten die Aufgabe, den Geschwindigkeitsverlauf zu einem demonstrierten Bewegungsvorgang ausgehend von halb-quantitativen Überlegungen zu den wirkenden Kräften abzuschätzen. Die Schüler arbeiteten ohne Computer. Dennoch wählte etwa die Hälfte der Schüler eine Lösungsstrategie analog zur Konstruktion eines Modells für den betrachteten Vorgang. Die Strukturähnlichkeit der Argumentationsweise der Schüler liefert Hinweise auf eine spezifische Unterstützung des Computereinsatzes beim Aufbau dieser für die Newtonsche Dynamik grundlegenden Strategie, die für ein hohes Niveau physikalischer Kompetenz im Bereich Kräfte und Bewegungen steht. Weitere Untersuchungen zu dieser Form des Transfers, die für die fachdidaktische Begründung des Einsatzes von Modellbildungssystemen eine zentrale Bedeutung hat, stehen noch aus.

Transferleistungen des dritten Typs stellen gegenüber solchen der ersten Art einen qualitativen Sprung dar. Er betrifft die Frage, ob die Schüler durch den themenspezifischen Einsatz eines Modellbildungssystems implizit ein Verständnis von dessen systemdynamischer Grundlage entwickeln. Dafür liegen uns aus den Erprobungen bisher keine Belege vor - wobei nochmals darauf hinzuweisen ist, dass weder die Unterrichtskonzeption noch die Begleituntersuchungen explizit auf einen solchen Transfer hin angelegt waren. Nach unseren Erprobungsdaten erforderte das Verständnis der Kategorisierung der Modellgrößen nach Zustandsgrößen, Änderungsraten und Funktionen/Einflussgrößen bereits innerhalb eines Themengebietes längere Zeit. Das themengebundene Verständnis, warum es sich bei der Beschleunigung um eine Änderungsrate handelt, entwickelte sich später als die Fähigkeit, erfolgreich Modelle zu konstruieren, in denen die Beschleunigung als Rate verwendet wird. Da innerhalb eines Gebietes nur eine begrenzte Anzahl von Größen wiederkehrend als Zustandsgrößen und Raten in charakteristischen Kopplungen auftreten, kann bei den Schülern ein Gewöhnungseffekt vermutet werden, der sie zur Anwendung dieser Grundstrukturen in neuen Aufgaben befähigt. In neuen Themenbereichen musste die Frage, welche physikalischen Größen Raten- bzw. Zustandscharakter besitzen und daher in Modellen entsprechend zu formalisieren sind, inhaltsspezifisch jeweils neu erarbeitet werden.

Für weitere Untersuchungen soll die Unterrichtskonzeption sowohl hinsichtlich der Explizierung systemdynamischer Theorieelemente als auch hinsichtlicher der Gestaltung von Unterrichtssituationen, die die Schüler zu Transferleistungen des dritten Typs anregen, überarbeitet werden.


© 1997 DIFF Updated: Mai, 1997